Sami El-Yousef (SY)

Interview: "Die Situation ist nicht einfach"


Sami El-Yousef ist geschäftsführender Direktor des Lateinischen Patriarchats in Jerusalem. Er arbeitete an der Universität Bethlehem und wirkte in der „Päpstlichen Mission für Palästina“ in Jerusalem. Er kennt die Lage der Christinnen und Christen in der Region daher exzellent.

Livia Leykauf (LL): Christliche Einrichtungen spielen in der Region eine wichtige Rolle. Warum? 

Sami El-Yousef (SY): Krankenhäuser, Schulen und Sozialeinrichtungen leisten einen wichtigen Beitrag für die gesamte Bevölkerung in der Region. Es sind besonders jene Bereiche, die von der Palästinensischen Autonomiebehörde nicht ausreichend abgedeckt sind. Wir füllen diese Lücke, gleichzeitig vermitteln wir Werte, die in dieser Region entscheidend sind. 

LL: Was meinen Sie damit konkret? 

SY: Wenn man wie wir in einer Konfliktzone lebt, hört man auf der Straße viel von Hass und Rache. Wir halten den christlichen Wertekanon dagegen, wozu wir auch Koexistenz, Respekt, Toleranz und Vielfalt zählen. In unseren Institutionen ist das Miteinander der Religionen nicht eine akademische Übung, sondern eine gelebte Erfahrung. 

LL: Welchen Einfluss haben die Kirchen als Arbeitgeber? 

SY: Die christlich begründeten Institutionen und Kirchen zählen zu den großen Arbeitgebern in der Region. Derzeit sind rund 9.000 Personen in diesem Kontext tätig. Diese oft gut ausgebildeten Menschen haben durch ihren Arbeitsplatz einen Grund, nicht auszuwandern. 

LL: Was hat sich durch die Corona-Pandemie verändert? 

SY: Die meisten der Organisationen – so auch das Caritas Baby Hospital – haben sehr schnell auf die Vorgaben reagiert und ihre Angebote angepasst weitergeführt. Das hat mich sehr beeindruckt. Für unsere Schulen war es aber ein enormer Kraftakt, auf Online-Unterricht umzustellen. 

LL: Vor kurzem ist eine Studie "zum sozialen und ökonomischen Einfluss der christlichen Organisationen in Palästina“ erschienen. Haben sie heute noch eine große Bedeutung?

SY: Diese Institutionen sind für den Alltag der Menschen hier unbeschreiblich wichtig. Seit Jahrzehnten garantieren unsere Erziehungseinrichtungen eine solide Ausbildung, die sich am offiziellen Curriculum orientiert. Man kann behaupten, dass der relative Wohlstand der heutigen Mittelschicht im Wesentlichen auf einer kontinuierlich hochwertigen Ausbildung basiert. Dennoch sollten wir unseren Einfluss nicht überbewerten, vielmehr unsere Aufgaben gut erfüllen, aber bescheiden bleiben.

LL: Was bedeutet das für die Zukunft? 

SY: Die politische, soziale und kirchliche Situation in der Region ist nicht einfach. Ich halte es für unerlässlich, dass wir Christinnen und Christen im Heiligen Land präsent sind, das Leben dort mitgestalten und Verantwortung übernehmen. Aber ohne finanzielle und moralische Unterstützung aus dem Ausland könnten wir unsere Aufgaben nicht mehr wahrnehmen. Leidtragend wären die Menschen in der Region, die sich so sehr nach Frieden und einem guten Leben sehnen. 

 

Teilen