Ein Kinderlachen ist die beste Motivation

Ein Kinderlachen ist die beste Motivation


Schon als Kind wusste Hiyam Marzouqa, dass sie Kinderärztin werden wollte. Mit Bestnoten machte sie an der deutschsprachigen Schule in Bethlehem den Abschluss und erhielt ein Stipendium für ein Medizinstudium in Würzburg. Mit 19 Jahren flog sie für ihr Studium nach Deutschland.

Das erste Mal weit weg von der Familie

Es war ihre erste Auslandsreise überhaupt. „Anrufe nach Hause waren teuer“, erinnert sich Marzouqa, E-Mails gab es noch nicht und Post nach Bethlehem brauchte oft Wochen. Fast täglich schrieb sie ihren Eltern Briefe und berichtete ausführlich von ihrem Alltag in Deutschland. Nur von ihrem Heimweh schrieb sie nichts. Bis heute ist die Verbindung zu ihren mittlerweile betagten Eltern und ihren sechs Geschwistern sehr eng. „Die Großfamilie ist meine Heimat, meine Wurzel. Ich kann und will nicht ohne sie sein“, erläutert sie. Ihre eigenen beiden Söhne sind inzwischen erwachsen und leben im Ausland. Wie so viele junge Menschen sehen sie kaum eine Lebensperspektive mehr in der Region. „Als Mutter macht mich das traurig. Aber ich weiß auch, dass sich die Zeiten und politischen Realitäten geändert haben.“ 

Ganz andere Krankheitsbilder

Vor genau 30 Jahren, im Jahr 1989, schloss Hiyam Marzouqa ihr Studium ab und absolvierte – zurück in Bethlehem – ein Praktikum im Caritas Baby Hospital. Bald wurde sie Assistenzärztin und merkte rasch, dass sie ihre Ausbildung zwar optimal für den medizinischen Alltag in Deutschland vorbereitet hatte, aber im Westjordanland stellten sich ganz neue Herausforderungen. Dort gab es Krankheitsbilder, die sie bisher nur in Lehrbüchern gesehen hatte: genetisch bedingte Missbildungen, schwerste Unterkühlungen oder lebensgefährliche Unterernährung. 

Anfangs arbeitete die Klinik ohne Beatmungsgerät

Auch die Ausrüstung im Caritas Baby Hospital war damals nicht mit jener an europäischen Kliniken zu vergleichen. „Wir hatten zu dieser Zeit nicht einmal ein Beatmungsgerät“, erinnert sich Hiyam Marzouqa. Wenn die Kinderärztin auf diese Zeit zurückblickt, wird ihr bewusst, wie sehr sich die medizinische Versorgung in Palästina im Allgemeinen und im Caritas Baby Hospital im Speziellen weiterentwickelt hat. Inzwischen ist ihr Krankenhaus eines der ersten Ansprechpartner im Land, wenn es um pädiatrische Medizin geht. Darauf ist die 57-Jährige stolz.

Persönliche Kraftquelle

Gute Ausbildung und moderne Ausstattung allein reichen in der Medizin jedoch nicht aus. Davon ist Hiyam Marzouqa überzeugt. Für sie spielt der Glaube eine wichtige Rolle. Fast jeden Tag geht sie vor der Arbeit in die Geburtskirche in Bethlehem und zündet Kerzen an. Spaßend nennt sie dies „Blitz-Psychotherapie“. Dieses Ritual hilft ihr, Kinder mit einer hoffnungslosen Diagnose „Gott anzuempfehlen“. Das Gebet ist ihre persönliche Kraftquelle, der Austausch im Team die professionelle. 

„In unserem Beruf gibt es sehr schöne Erlebnisse, aber eben auch schwierige“, weiß sie aus ihrer jahrzehntelangen Erfahrung. „Gerade zu chronisch kranken Kindern, die fast ihr ganzes Leben lang medizinisch begleitet werden, entwickelt man eine besondere Beziehung. Selbst wenn man um professionellen Abstand bemüht ist. Wenn ein kleiner Patient trotz bester fachlicher Behandlung stirbt, ist das sehr schmerzhaft für das ganze Team. Um in diesen bedrückenden Augenblicken weiterzumachen, ist es wichtig, sich auf jene Kinder zu fokussieren, deren Schmerzen man lindern kann, auf Patientinnen und Patienten, die dank des Krankenhauses gesund geworden sind. Schatten und Licht liegen in unserem Alltag nah zusammen“. In den schwierigsten Momenten ist ein Kinderlachen für Dr. Hiyam die beste Motivation.

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